Die Zukunft farblich gestalten.
Mehr als 80% unserer Sinneseindrücke werden über das Sehen aufgenommen – dabei spielen Farben eine zentrale Rolle. Sie erzeugen Gefühle, wecken unbewusste Assoziationen, wirken sich auf die Psyche aus. Auch bei Gebäuden tragen sie stark zur Wahrnehmung der Architektur bei. Gute Architekten wissen um die Wirkung von Farben und setzen sie gezielt ein – je nachdem, welche emotionale Wirkung sie erzielen wollen.
Das ist nicht nur bei Wohngebäuden wichtig, die den darin wohnenden ebenso wie den an ihnen vorbeiflanierenden Menschen angenehm ins Auge fallen sollen, sondern auch etwa bei Gebäuden von Unternehmen: Hier trägt die Gebäudefarbigkeit als Bestandteil der Corporate Identity zum Gesamtbild bei und wird immer gezielter eingesetzt, um emotionale Botschaften über das Unternehmen zu senden.
Wie in allen gestalterischen Fragen gibt es natürlich auch bei der Farbe „Moden ihrer Zeit“. Die klassische Moderne der Bauhaus-Zeit setzte stark auf monochromes Weiß, um die Solitärwirkung der einzelnen Gebäude zu betonen. Die holländische De-Stijl-Bewegung fügte dem weißen Grund Grau, Schwarz und die drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb hinzu. „Leuchten wie ein Blumenbeet“ sollten die Gartensiedlungen der 1920er-Jahre von Bruno Taut, der 1920 einen „Aufruf zum farbigen Bauen“ verfasste. Auch Le Corbusier bekannte sich zur Polychromie. Er entwickelte 1931 und 1959 ein ganzes Farbsystem aus miteinander harmonierenden Farben und sagte dazu: „Farbe ist ein Auslöser starker Wirkungen. Farbe ist ein Faktor unserer Existenz“.
In der Nachkriegsmoderne waren Weiß, Hellgrau und Hellgelb, Lindgrün und Rosé beliebt. In der Spätmoderne sollten Orange-, Braun-, Gelb- und Grüntöne die brutalistische Betonarchitektur erträglich machen. In der Postmoderne wurde es dann grell und poppig.
Und heute oder sogar morgen? Ist alles möglich! Im Bürobau scheinen zwar nach wie vor kühle Farben, Metall und monochromes Weiß das Bild zu prägen, es gibt aber auch Architekten, die keine Scheu vor Farbigkeit haben. Technisch geprägte Innovationen wie transformative Medienfassaden befreien Gebäude davon, immer dieselbe Farbe zu haben. Durch die Integration etwa von Leuchtelementen lässt sich nicht nur die Farbe nach Belieben wechseln: Die Fassade kann zur Leinwand für visuelle Botschaften aller Art werden. Ein ebenso prominentes wie spektakuläres Beispiel ist die von Herzog & de Meuron entworfene Allianz Arena in München, die mit einer Gebäudehaut aus 2.800 pneumatisch vorgespannten Kissen aus ETFE-Folie versehen ist. Zunächst machten ca. 25.000 Leuchtstofflampen nur die Farbvariationen Weiß, Rot und Blau möglich. Seit 2015 ermöglichen 300.000 LEDs ein Farbspektrum von 16 Millionen Farben – bei 60 Prozent weniger Energieverbrauch. Bei Nationalspielen erscheinen dann auch schon einmal die Nationalfarben. Die Medienfassade des von akyol kamps : bbp architekten gemeinsam mit Urban-screen geplanten Klubhauses St. Pauli wird dank RGB-LEDs zum Großbildschirm, auf dem sogar Videos abgespielt werden können.
Es gibt aber auch ganz traditionelle Methoden, die Farbe eines Gebäudes mit der Zeit zu verändern, etwa durch die Verwendung von bestimmten Metallen, die im Laufe der Jahre eine gewünschte Patina annehmen – ein Beispiel ist das von Pool 2 Architekten aus Kassel geplante Haus Müngsten in Solingen, dessen Hülle aus Cortenstahl sich, wie die umgebenden Wiesen und Wälder, mit der Zeit farblich wandelt. Der Installationskünstler Markus Heinsdorff entwirft Membranbauten, die sich mit wechselnden gewebten Hüllen umspannen lassen und so ihre Farbe und Wirkung verändern.
Formal kann Farbe ganz unterschiedliche Funktionen übernehmen: Sie kann die architektonische Form unterstützen oder einen Kontrastpunkt setzen, sie kann die Materialität unterstreichen oder leugnen, sie kann dazu beitragen, dass sich ein Gebäude harmonisch in die Umgebung einfügt oder durch gewollte Akzente aus ihr hervorsticht. Auch innerhalb eines Gebäudes ist Farbe ein vielseitiges Gestaltungselement: Sie kann verschiedene Bereiche visuell voneinander trennen, sie kann durch die Farbstimmung bestimmte Nutzungen unterstützen, sie kann als Leitsystem zur Orientierung in architektonisch komplexen Gebäuden dienen – oder, wie zu Zeiten von Barock und Renaissance, als dekorativer Blickfang und emotionaler Stimmungsbooster genutzt werden. Dabei muss auch gar nicht immer Farbe als solche zum Einsatz kommen: So werden begrünte Fassaden immer beliebter. In der Bayerischen Staatskanzlei wachsen jetzt 3.000 tropische Pflanzen an den Wänden.
Zwischen Hightech und „Zurück zur Natur“ spielt sich die Zukunft der Farbgestaltung beim Bauen ab.